Dienstag, 30.6.2015

Ich liebe den Sommer: warme Tage, laue Nächte, lange Abende, wenig Garderobe auf der Haut, Barfuß laufen, überall Blüten, Beeren und warme Seen. Was für ein Lebensgefühl.

Bin schon viertel sieben eine schöne Runde geradelt, am See entlang.

Mittags gab es 370g Melone Charentais, brutto. War mir aufgrund der weichen Schale bei der rohen Qualität nicht sicher und habe daher sofort beim ersten Anzeichen für eine Bauchsperre aufgehört. Schlechte Nachrichten kann ich nämlich heute nicht gebrauchen.

Es ist schon paradox. Soll ich es jetzt wirklich der Melone anlasten, dass ich nachfolgend von Pendel- und Schienenersatzverkehr gebeutelt wurde? Soll ich wirklich glauben, dass die Züge gefahren wären, wenn ich nicht diese schrottige Bioladen-Melone gegessen hätte? Das vielleicht nicht, aber möglicherweise hätte ich eine andere Entscheidung bezüglich des Verkehrsmittels getroffen und mich für den anstandslos fahrenden Regionalzug nach Berlin entschieden. So aber setzte ich mich dem puren Wahnsinn meiner Mitmenschen aus. Lauter überaus dicke Menschen um mich herum, die wie dem Gruselkabinett entsprungen aussahen, einer sprühte sich mit Deo im Bus ein. Ich war verzweifelt und den Tränen nah. Wegen so einer Lappalie? Ich erkannte mich selbst kaum wieder.
Am liebsten wäre ich auf der Stelle umgekehrt.

Aber der Weg sollte zu meiner Zahnärztin zur Prophylaxe führen. Zudem hatte sich eine Keramikbrücke gelöst, der Weg schien also unumgänglich. Oder was will mir das Universum damit zeigen? Wenn ich aber allen Zahnersatz entfernen lasse, kann ich weder kauen noch mich unter die Menschen trauen.

Ich war schon früher eine Naschkatze und habe meinen jugendlichen Protest u.a. so ausgelebt, dass ich mich den Anweisungen meiner Mutter auch beim Zähne putzen widersetzt habe. Schön doof war ich. Und dann ständig Bonbons gelutscht und auch zerbissen, ganze Tafeln Schokolade zum Stressabbau nach der Schule genascht, Traubenzucker rollenweise bei Wettkämpfen reingeschoben, die seltenen Bananen gab es morgens auf der Stulle mit Zucker bestreut. Tja, wenn ich irgendwas heute anders machen würde, dann auf meine Zähne besser aufpassen.

Vielleicht irritiert der Zahnersatz ja mitunter meine instinktive Auswahl. Für mich ist aber vor vielen Jahren nach eingehender Beratung mit einem roh essenden Arzt klar geworden, dass gerade eine gute Kaufunktion wichtig für eine instinktive Ernährung ist. Als ich mit Interimslösungen nur bedingt kauen konnte und meine Auswahl daher eingeschränkt war, hat sich das nur negativ ausgewirkt. Und daher lebe ich jetzt mit meinen Brücken aus Vollkeramik. Werde aber beim Abreißen von Fleisch und dem Zerbeißen der Knochenendstücke etwas mehr aufpassen müssen.

Etwa 3h nach der Mahlzeit war ich wieder ich selbst.

Der weitere Verlauf des Nachmittags verlief besser.

Die Prophylaxehelferin nahm mich trotz erheblicher Verspätung freundlich und verständnisvoll in Empfang. Alles soweit in Ordnung, auch mein Zahnfleisch. Sie hat nur etwas Zahnstein entfernt.

Der Ärztin gelang es, die Brücke heil vom festsitzenden Zahn zu befreien. Daaaaaaaaanke. Das wäre sonst wieder ein Megaaufwand geworden. Ich habe auf die Betäubung verzichtet. So weiß ich wenigstens, dass die Zähne vital sind.

Leider hatte in der Zwischenzeit auch der Regionalverkehr seinen Dienst eingestellt und die Rückfahrt war ähnlich, aber nicht ganz so umständlich. Zudem war ich gelassener. Und im Sonnenschein erträgt sich alles leichter.

Was bin ich froh gewesen, nach diesem verrückten Nachmittag endlich wieder zu Hause zu sein. Da bekommen scheinbare Selbstverständlichkeiten eine ganz andere Bedeutung. Zum Glück muss ich nur selten die Bahn in Anspruch nehmen. Arme Pendler. Das soll noch ein paar Tage so bleiben.

Die Melone fliegt gleich morgen früh in hohem Bogen in den Müll. Zukünftig werde ich mir suspekt vorkommende Exemplare gleich entsorgen. Schade, dass man nicht reingucken kann. Jetzt habe ich mir aber zwei mal das Theater danach angetan. Der Bedarf ist gedeckt.

Das Abendessen war dafür eine traumhafte Entschädigung. Es gab in der Sonne sitzend von halb acht bis halb neun zwei stark gereifte kleine Rehköpfe, 475g waren noch essbar. Es war alles so lecker, angefangen habe ich mit der Zunge und dem wenigen Fleisch im Hals, weiter ging es mit den in kräftiges Fett gebetteten Augen und zum Schluss gab es die beiden Gehirne mit Puddingkonsistenz. Ich weiß zwar nicht, was ich manchmal an diesem stinkenden Zeug finde, aber es hat oft den Anschein, dass diese Moleküle für besondere Aufgaben benötigt werden. Und was ich heute alles an Dreck und Zigarettenrauch zu mir genommen habe, kann gerne schnell wieder ausgeschieden werden. Zudem war dieses Essen in doppelter Hinsicht ausgesprochen zahnfreundlich.