Nachmittags waren wir (mein Sohn und ich) wieder bei einem Förster zum Sammelansitz eingeladen. Von diesem bekommen wir gegenwärtig auch noch die Waffen sowie Munition gestellt. Aber bevor es zum Ansitz ging, wurde unsere Treffsicherheit geprüft - jeder von uns hatte zwei Schüsse aus einer Blaser R8 im Kaliber .308 Winchester abzugeben - der erste Schuss mit beliebiger Vorbereitung, der zweite Schuss nach Kommando so schnell wie möglich. Hintergrund: In einem Waldrevier muss man schnell schießen können, da sich das Wild im allgemeinen nur kurz auf einer Schneise zeigt. Wer da zu lang braucht, hat das Nachsehen - so wie ich beim Ansitz eine Woche zuvor, als zweimal ein Bock zu Angesicht kam, aber genau so schnell wie er kam auch wieder verschwand. Nachdem wir diese Prüfung bestanden haben, geht es zum eigentlichen Ansitz - heute verteilen wir uns auf einen Hochsitz und zwei Kanzeln - jeder ist allein auf sich gestellt.

Es ist 18:15, die Sonne steht noch hoch und vom Wild ist keine Spur. Also lege ich erstmal Vesper ein - es gibt Mandeln. Auch die Zähne kann ich mir noch in aller Ruhe reinigen. Dann beginne ich die Umgebung - zwei Schneisen und einen Weg - genauer zu beobachten - mit bloßem Auge, mit einem Feldstecher (9x63 - ein lichtstarkes Exemplar, ebenfalls vom Förster zur Verfügung gestellt - so in dieser Art) ... und auf Empfehlung des Försters mache ich auch Anschlagübungen, um für den Fall der Fälle gerüstet zu sein. Auf 200m sehe ich mit bloßem Auge eine Bewegung neben dem Weg, kurz bevor er nach links wegbiegt - der Griff zum Fernglas bestätigt: Da äst ein Reh. Es ist ein weibliches Stück (kein Geweih), und es scheint eine Ricke zu sein, kein Schmaltier. Ricken sind zur Zeit geschont (deren Jagdzeit beginnt zusammen mit den Kitzen am 1.9.). Davon abgesehen könnte ich auf diese Entfernung mit meiner Waffe zwar sicher schießen, aber im vorliegenden Fall verbietet sich ein Schuss auch aufgrund des nicht vorhandenen Kugelfangs. Ein Kugelfang ist das A und O, wenn man mit der Büchse zu schießen beabsichtigt, andernfalls ist es gut möglich, dass das Geschoss nicht nur das anvisierte Reh, sondern in 1km bis 2km Entfernung auch noch ganz andere Dinge oder gar Menschen trifft (die Reichweite beträgt beim indirekten Schuss um die 5km). Anschlagübungen mache ich dennoch - schon, weil das Zielfernrohr der Waffe eine bis zu 12fache Vergrößerung bietet und ich so das Reh noch besser beobachten kann.
Dann setzte ich die Waffe wieder ab und werfe einen Blick auf die beiden Schneisen ... als ich den Kopf wieder zurückdrehe, sehe ich (es ist 19:40) ein Reh in etwa 80m auf dem Weg stehen, das noch sehr jung ausschaut. Ein Blick durch den Feldstecher bestätigt - ein junges weibliches Stück - ein Schmaltier (Böcke, Schmalspießer und Schmaltiere haben ab 1. Mai Jagdzeit). Jetzt also schnell zur Büchse gegriffen und ab in den Anschlag - ich muss mich auf der Kanzel stark nach links drehen - für mich als Linksschütze die ungünstigste Position - so recht weiß ich nicht, wie ich mein linkes Bein am besten unterbringe, letztlich winkle ich es an und platziere es auf der Bank. Zur Stabilisierung lege ich die Waffe mit dem Vorderschaft auf die Brüstung der Kanzel - allerdings nicht direkt auf's Holz (hartes Auflegen verursacht Hochschüsse), sondern ich drapiere darunter meinen Pullover. Nun das Reh durch das Zielfernrohr ansprechen: Es ist bereits über den Weg gezogen und äst am Wegrand - einem schmalen Wiesenstreifen zwischen Weg und Wald. Ruhe reinbringen - die Waffe im Anschlag entsichern - tief durchatmen, dabei steht das Fadenkreuz tief, und langsam ausatmen ... bis das Fadenkreuz genau auf dem Blatt zur Ruhe kommt. Schieße ich oder schieße ich nicht .... nochmal einatmen - und nochmal aus ... der Finger berührt den Abzug - der aber scheint irgendwie schwer zu gehen - aha: Noch nicht eingestochen (die Büchse hat einen Doppelzüngelstecher, auch deutscher Stecher genannt). Also erstmal einstechen (den hinteren "Abzug" betätigen), nochmal durchatmen ... das Reh steht breit, es sichert ab und an, kann mich aber nicht als Gefahr wahrnehmen - dann bricht der Schuss. Ich sehe noch, wie das Reh vom rechten Wegesrand in den rechts angrenzenden Wald flüchtet. Der Rückstoß kam mir erstaunlich gering vor ... aber das wird wohl das Adrenalin gewesen sein, und vermutlich habe ich die Waffe auch sehr gut in die Schulter gezogen.
Nun erstmal die Anspannung abbauen - ganz ruhig die Waffe repetieren und sichern. Ich gehe wieder in Anschlag, aber von dem Reh ist nichts mehr zu sehen. Habe ich getroffen oder nicht? Wenn ich getroffen habe: War der Schuss tödlich? War der Schuss weidgerecht? All diese Fragen gehen einem durch den Kopf, aber jetzt heißt es, sich in Geduld zu üben: 10 bis 20 Minuten (ein bis zwei Zigarettenlängen) gibt man dem beschossenen Tier, bevor man sich dem Anschuss nähert. Bis dahin bin ich wieder etwas ruhiger - mit Feldstecher, Rucksack (brauche ich eigentlich nicht, lasse ich aber nur ungern allein auf der Kanzel zurück) und geschulterter Büchse (darf ich auf keinen Fall unbeobachtet lassen, und womöglich brauche ich sie ja auch noch, eine Kurzwaffe für den Fangschuss habe ich ja nicht) mache ich mich auf den Weg zum Anschuss ... und stehe erstmal ratlos da: Wo genau stand denn nun das Reh, als ich es beschossen habe? Unmittelbar am Wegesrand ist nichts zu sehen (da steht Gras) ... aber beim Umschauen entdecke ich plötzlich zwei Meter in Richtung Dickicht etwas Rotes im Gras - heller blasiger Schweiß (so nennt der Jäger Blut) und ein Stück Lunge: Das sagt mir: Der Schuss war perfekt, d.h. tödlich und auch im vorderen Bereich - also ganz nach Lehrbuch (Leberschüsse sind auch tödlich, aber da hat man beim Aufbrechen jede Menge Sauerei; am ärgerlichsten sind Waidwundschüsse, die das Tier zwar verletzen, aber nicht töten - da kann man dann ewig suchen, und wenn man Pech hat, findet man es doch nicht und es geht womöglich durch die Verletzung über Tage oder gar Wochen hin elendiglich ein). So: Ich weiß, dass das Reh tödlich getroffen ist, aber es ist nicht zu sehen. Die Beobachtung beim Schuss - rasende Flucht - passt zum Lungenschweiß. Nun kann ein auf diese Weise tödlich getroffenes Tier eine Flucht von bis zu 100m absolvieren, bevor es zusammenbricht. Also heißt es suchen. Ich sehe weitere Blutspuren und ich sehe auch die Fährte - sie führt in ein nahes Dickicht. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als mich samt Waffe durch dieses Dickicht zu schlagen. Auf der anderen Seite kommt eine kleine Lichtung - über diese führt die Fährte ins nächste Dickicht. Für dieses Gekraxel durch's Dickicht machen sich natürlich eine Vliesjacke, Rucksack, Feldstecher und Langwaffe denkbar ungünstig - da gibt es sicher noch Optimierungsmöglichkeiten (z.B. den Feldstecher schon mal in den Rucksack räumen, statt ihn sich umzuhängen). Also rein ins nächste Dickicht, und wenige Meter weiter liegt auch das verendete Stück - noch weich und warm, wie eingeschlafen - lediglich den Kopf hat es etwas unnatürlich verdreht - durch den Lungenschuss kollabiert die Lunge, das Tier verblutet innerlich, wird blind, fällt und stirbt [klick]. Nicht nur der Einschuss, auch der Ausschuss ist für dieses Kaliber erstaunlich klein (für Rehe braucht man keine 30-06, damit kann man auch starke Sauen oder Brunfthirsche strecken). Nun heißt es, das Stück zu bergen. Also zusätzlich zu meinem bisherigen Gepäck nehme ich das verendete Reh auf und transportiere es durch das Dickicht nach außen. Neben dem Weg lege ich es etwas versteckt wieder ab und setze den Ansitz fort.

Hier mal ein Foto der Hülsen der drei an diesem Tag abgefeuerten Patronen:
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